Am Mittwoch, den 28. Mai besuchte uns Bundestagspräsident N. Lammert, um sich mit den Schülerinnen und Schülern der Jahrgänge 10 und 11 zum Thema “80:20 – Demokratie zu Zeiten der Großen Koalition” auszutauschen. Er blieb eine Doppelstunde lang.
Das von uns im Vorfeld gewählte Format einer Schüler-moderierten Fragerunde war insgesamt betrachtet nicht schlecht und funktionierte auch insofern, als dass sich viele SuS trauten, ihre Fragen zu stellen. Es fehlt nun jedoch die Möglichkeit zur Nachbereitung in Klasse 11. Denn: So neutral unser Bundestagspräsident in seiner Rolle in TV Auftritten und in medialen Besprechungen Dritter auch erscheinen mag – er ist es nicht.
Zwei Punkte, die mir persönlich gut in Erinnerung geblieben sind, will ich kurz in diesem Beitrag herausgreifen.
Im Kontext einer Frage zur Notwendigkeit der 5% Hürde argumentierte Herr Lammert dezidiert konservativ. Werte wie Systemstabilität und Funktionsfähigkeit wurden von ihm sehr hoch bewertet und auch mit einigen Beispielen unterfüttert. Werte wie (Stimmen)gleichheit und Repräsentationsprinzip wurden zwar erwähnt, jedoch weitgehend ohne Begründung als weniger relevant dargestellt. Ob Gleichheit, Repräsentation, Stabilität und Funktion heute noch im richtigen Verhältnis zueinander stehen, welchen Interessen die bestehende Regelung dient, welche Alternativen mit welchen Vor- und Nachteilen formuliert werden können (z.B. andere oder direkte Formen der Bürgerbeteiligung etc.) kam nicht zur Sprache.
Hier war Herr Lammert Politiker und nicht Politologe.
Das ist insofern auch in Ordnung, als dass wir ja Herrn Lammerts Position kennen lernen wollten – aber eben wichtig zu verstehen, als dass es nicht Auftrag der Schule ist, Politik im Sinne einer einzigen und bestimmten Position im Theorien- und Meinungsspektrum zu vermitteln. Bei der gegebenen argumentativen und rhetorischen Durchschlagskraft eines Politprofis, der dazu noch mit der Aura der Macht umgeben und ohne klare Rollentrennung (Bundestagspräsident – CDU-Mitglied – Lammert als Person) antritt, kann das schwächere SuS durchaus überfordern, sich den fehlenden Teil selbst hinzu zu denken.
Im Kontext einer Frage zur Wahlrechtsreform führte Herr Lammert aus, dass das Mehrheitswahlsystem in Großbritannien schlicht akzeptiert würde: Dass hierbei eine große Zahl an Papierkorbstimmen anfällt, würde von der Bevölkerung mit einem “Das ist halt so” quittiert.
Dem ist – in der vorgetragenen Allgemeingültigkeit – keineswegs der Fall. Zivilgesellschaftliche Gruppen (z.B. ERS) sprechen sich wie auch die Liberal Democrats (siehe z.B. hier den Tag electoral reform) seit vielen Jahren für eine Wahlrechtsreform aus. Rund 1/3 der Bevölkerung will ebenfalls Reformen – siehe hierzu die Links an diesem WP-Artikel zum Wahlrechtsreferendum im UK.
Der Kontrapunkt, der Gegenpart und die Gegenrede fehlten in der Veranstaltung. Die SuS konnten in diesem Setting weder gegen den Politprofi argumentieren, noch – so vermute ich – merkten sie überhaupt, was teilweise (mit ihnen) geschah oder gesagt wurde. Der Besuch ist vorbei – die eigentliche Arbeit beginnt erst.